Den Altarraum der Baptisten-Gemeinde Hanau schmückt seit 1992 ein Relief der Künstlerin Hannelore Clemenz-Rau. Hier finden Sie Gedanken von Martin Wunderlich auf Basis einer Andacht von Doris Wolf über das Relief:

Wir lenken zunächst unser Augenmerk auf den Mittelpunkt des Kunstwerks, was auch der Mittelpunkt unseres Glaubens ist, nämlich das Kreuz. Das Kreuz teilt das Relief in 4 Bilder auf. Wir werden uns jedes Bild genauer ansehen. Es wird einige Entdeckungen geben.
Was am Kreuz selbst auffällt, sind die vielen Unterbrechungen. Welche Aussage steckt darin?
Links unten: Der verlorene Sohn
Von der Mitte wenden wir uns der linken unteren Bildhälfte zu. Sie beschreibt eine der schönsten und menschlichsten Geschichten des Neuen Testamentes. Es ist die Geschichte vom „Verlorenen Sohn“ (Lk 15.11-32).

Dieser Teil erzählt uns, wie ein Mensch sich entwickeln kann, wenn er das Vaterhaus verlässt. Aus dem Vaterhaus in andere Länder zu gehen, ist ja an sich nicht verkehrt, oft sogar eine wertvolle Horizonterweiterung. Schon im Alten Testament finden wir die Worte, dass ein Mann Vater und Mutter verlassen wird, um eine eigene Familie zu gründen. Abraham verließ seine Familie, Josef zwangsweise, seine Großfamilie folgte später nach. Auch eine Berufsausbildung ist häufig mit dem Verlassen des Elternhauses verbunden. Als Heranwachsender ist es erforderlich, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und eigene Verantwortung für sich zu übernehmen. Aber auf das „Wie“, die Begründung des Verlassens kommt es an. In unserer Geschichte hätte der Sohn sein Erbe dazu anlegen können, sich eine eigene Existenz aufzubauen. Sein Lebensweg war als der jüngere Sohn auch so vorgezeichnet, denn sein älterer Bruder würde den Grundbesitz erben. Aber stattdessen gab er alles in zweifelhafter Gesellschaft aus – hier sehr gut dargestellt durch die weibliche Gestalt im Vordergrund. Ihre Körperhaltung und ihre Haartracht sind eindeutig. Nur Frauen mit leichtem Lebenswandel trugen lange, offene Haare. Sittsame Frauen trugen eine Kopfbedeckung.
Die Freunde
Dann sehen wir rechts noch die Freunde im Hintergrund. Die Münder sind so rund, als ob sie lachen. Vielleicht ist die Prostituierte die letzte Person, die noch zu ihm hält, nachdem sein Geld aufgebraucht ist. Sein Gesichtsausdruck ist trostlos, bedrückt, verzweifelt, leer. Aus einem Tonstück so etwas zu formen, ist schon ein Kunststück für sich.
Aber er musst ja weiterleben, und so fand er Arbeit bei einem Schweinebesitzer, wie uns die Geschichte weiter berichtet. Für einen Juden war das undenkbar, denn Schweine galten als unrein und keinem frommen Juden würde es einfallen, auch nur in die Nähe dieser Tiere zu kommen. Daran können wir erkennen, dass er in seiner Not sogar seine anerzogenen streng religiösen Wertvorstellungen verlassen hatte.

Die Schoten
Links im Bild sehen wir so längliche Gebilde. Sie haben die Form der Johannesbrotschoten, mit denen die Schweine gemästet wurden. Mastfutter musste gekauft werden. Darum verwehrte man ihm dieses Nahrungsmittel, denn für einen so heruntergekommenen Landstreicher war das viel zu schade.
Der verlorener Sohn
Betrachtet man die beiden Darstellungen derselben Person, fällt die Veränderung deutlich auf. Die Kleidung wird dunkler, abgerissene Ärmel, die Haare werden länger, der Bart wächst. Äußere Zeichen für eine veränderte Lebenslage.

Hier geschieht die Wende des Mannes, denn jetzt wird ihm bewusst, was er aufgegeben hatte gegen die Leere, die nun in ihm ist. Aber die Erkenntnis nützt noch nichts, die Kehrtwende muss hinzukommen. Ganz im Vordergrund am unteren Bildrand sehen wir eine knieende Gestalt, die dem Kreuz zugewandt ist. Die Körperhaltung wirkt demütig, der Blick ist halb gesenkt.
Die Künstlerin zeigt uns in dieser Figur, was in dem verlorenen Sohn vorgegangen ist. Ihm wird klar, dass er einen großen Fehler begangen hatte und was er tun muss.
Er spricht zu sich selbst (Lk. 15.18) „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.“
Er weiß auch, dass er seine Sohnschaft verspielt hat, aber die Tagelöhner seines Vaters haben ihr normales Auskommen. Er will den Vater bitten, ihn in dieser untersten Stufe einzureihen. Und dieses Vorhaben muss dann auch in die Tat umgesetzt werden. Er muss wirklich losgehen. Zuhause, sicher unter großen Strapazen, angekommen, spricht er seinen Fehler nun auch vor dem Vater aus. Hier wird die Ehrlichkeit seiner Reue deutlich, denn er ist bereit, die Konsequenz seines Fehlverhaltens zu tragen.
Links oben: Ankunft zu Hause
Damit sind wir am linken oberen Bildteil angelangt. Aus dem Verlauf der Geschichte wissen wir, dass der Vater das Schuldbekenntnis gar nicht beachtet. Er nimmt ihn einfach in die Arme. Und das ist unvorstellbar in der damaligen Zeit. Der Sohn stank von oben bis unten nach Schwein – unrein! Eigentlich hätte der Vater ihn erst einmal unter die Dusche – oder besser – in den Waschzuber stecken sollen und die Kleidung verbrennen lassen. Aber die Freude und Barmherzigkeit des Vaters durchbricht jede Grenze.

Die totale Ergebenheit des knieenden Sohnes ist hier sehr schön zum Ausdruck gebracht. Der Kopf liegt an der Brust des Vaters. Die Arme hängen herunter. Er ist geborgen.
Der Vater gibt sofort Anweisung an seine Knechte, seinen Sohn auch äußerlich wieder in den Sohnstand zu versetzen, indem er das beste Gewand, Schuhe und einen Ring anfordert. Der Ring ist das Zeichen der Sohneswürde. Und auch das Feiern soll nicht zu kurz kommen. Die Arbeiten wurden jählings unterbrochen. Das ganze Haus incl. der Dienerschaft sollte sich mitfreuen.
Die Feier
Wir sehen im Hintergrund eine Menge Menschen. Die ausgebreiteten Arme zeugen von fröhlicher Stimmung. All dies geschieht innerhalb des Hauses.
Der Bruder
Am äußeren Bildrand befindet sich eine einsame Figur. Der Körper ist halb abgewandt, nur der Arm mit dem ausgestreckten Zeigefinger in Richtung Vater und Bruder drückt Zorn und Vorwurf aus. Auch für diesen Sohn hat der Vater Verständnis. Er kommt zu ihm heraus und redet freundlich mit ihm: „Du sollst fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist wiedergefunden.“ (Lk. 15.28.31-32) Er bittet ihn sogar, was für die damalige Zeit völlig ungewöhnlich war. Es ist so, als ob Gott uns um etwas bittet. In Seinem Sohn Jesus Christus ist Er uns entgegengekommen und bietet uns das ewige Leben an.
Motiv oben rechts
Was sehen wir?

Ps 1.1-3: „Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder, noch sitzt, wo die Spötter sitzen, sondern hat Lust am Gesetz des Herrn und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht. Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht, und was er macht, das gerät wohl.“
Diese rechte obere Bildhälfte stellt den neuen Menschen nach der Hinwendung zu Jesus dar, Gottes Geist senkt sich auf den wiedergeborenen Menschen herab, symbolisiert durch die Taube.
Die Taube
Links oben sehen wir die Taube. Wir denken bei diesem Zeichen an Jesu Taufe im Jordan. In der ganzen Christenheit gilt das Taufwasser als Sinnbild des ewigen Lebens, weil Leben ohne Wasser nicht möglich ist. Psalm 1 sagt uns, wie ein Mensch lebt, der von Gott geprägt ist. Ein Baum, der an einem Flusslauf steht, hat die beste Voraussetzung für Wachstum und spätere Früchte.
Baum des Lebens
Aber ein Baum keimt aus Samen, wird langsam eine Rute und nach und nach immer stärker und kräftiger. So geschieht geistliches Wachstum auch langsam. Allerdings genügt es auf die Dauer nicht, sich mit dem Wasser des Lebens beschenken zu lassen. Im Laufe der Jahre kann das geistlich gesehen durchaus ein „auf der Stelle treten“ werden.
Das Buch
Die Anleitung zum Wachstum gibt uns Vers 2 des zitierten Psalms: „…sondern hat Lust am Gesetz des Herrn und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht“. Darum ist die Predigt wichtig und die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten.
Als natürliche Folge wächst Frucht am Baum und im Übertragenen Sinn bei den Menschen. Glauben hat immer Folgen, ist am Tun erkennbar.

Brot und Kelch
Neben dem offenen Buch oben rechts finden wir in unserem Kunstwerk auch das Abendmahlsgerät: Brot und Kelch. Gemeinsam feiern wir das Mahl zum Gedächtnis an Jesu Tod und Auferstehung. Wir danken dem Herrn für die Vergebung unserer Sünden. ER ist für uns in den Tod gegangen, hat unserer Sünden auf sich genommen, damit wir befreit und erlöst sind und das ewige Leben haben.
Motiv unten rechts
Dazu müssen wir auf dem neuen eingeschlagenen Weg bleiben, und das geschieht unter dem Kreuz. Die gehende Figur im Vordergrund fällt uns sofort auf. Aber es sind noch andere Elemente zu sehen. Wenn man auf dem Wege bleibt, stellen sich ganz von selbst auch Früchte ein. Gal. 5.22-23: Liebe, Freunde, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue. Wenn diese geistlichen Früchte immer mehr Raum im neuen Leben gewinnen, wächst auch der Wille zur Tat. „Seid aber Täter des Wortes und nicht Hörer allein.“

Ein schönes Bild sind die Menschen im Hintergrund. Auf den ersten Blick sieht man sie nicht. Sie sind dem Betrachter abgewandt, kein Gesicht ist zu erkennen. Aber sie haben ein Ziel. Wie viele gute Taten geschehen im Verborgenen. Man sieht nur die Wirkung, aber die Täter bleiben unerkannt.

Sie gehen auf ein Haus zu, ganz im Hintergrund. Wir denken an die diakonischen Aufgaben, schwere Berufe, die viel Hingabe und Geduld erfordern. Aber auch die vielen kleinen Arbeiten in der Gemeinde. Entscheidend ist, wie man das Amt ausübt.
Auf solchem Boden schreitet zielstrebig die Person im Vordergrund. Die ganze Haltung drückt Kraft und Sicherheit aus. Der Kopf ist erhoben, jedoch nicht hochmütig. Den Grund hierfür sehen wir, wenn wir auf die rechte Hand schauen. Da ist ein Mensch unterwegs, der Gottes Wort in Form einer Schriftrolle bei sich trägt. Ausschlaggebend ist, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
Der Bote mit Blättern
Es gibt noch etwas Liebliches rechts in der Ecke, Blätter eines Baumes. Auch daran hat die Künstlerin gedacht. Gott hat die Erde schön gemacht. Wir dürfen uns an ihr freuen und der natürliche Jahreswechsel zeugt von Hoffnung.
Fazit
So ist dieses Kunstwerk in allen seinen Teilen als Einheit zu verstehen. Im Vordergrund steht die Geschichte des verlorenen Sohnes. Aber Vordergrund und Mittelpunkt sind nicht identisch. Der Mittelpunkt unserer Lebensablaufes ist und bleibt das Kreuz des Auferstandenen und sündenvergebenden Heilandes. Es erinnert uns an Schuld und an Vergebung.
Herr, von dir sich abwenden
heißt fallen.
Zu dir sich hinwenden
heißt aufstehen.
In der bleiben
heißt sicheren Bestand haben.
Herr, dich verlassen
heißt sterben.
Zu dir heimkehren
heißt zum Leben erwachen.
In der bleiben
heißt Leben.
Amen.
(nach Augustinus)